Bioökonomie: Geschäftsmodelle neu gedacht

Ressourcen werden knapper, Nutzflächen werden kleiner, die Weltbevölkerung größer, der Klimawandel schreitet voran. Die Rolle der Wirtschaft wird in diesem Zusammenhang neu definiert. Befeuert wird das nicht nur von Konsumenten, die mehr Nachhaltigkeit fordern und jungen Menschen, die auf die Straße gehen. Auch die politischen Rahmenbedingungen ändern sich rasant. So hat die EU im Green Deal eine neue Wachstumsstrategie vorgestellt, mit welcher eine Transformation zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft gelingen soll. Unter anderem sollen bis 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden und 25 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche bis 2030 ökologisch bewirtschaftet werden. Besonders das Thema Bioökonomie ist dabei ein wichtiges Konzept.

Ein bioökonomisches Food-System für Europa
Das Ziel des EU Green Deal sowie der Farm to Fork Strategie ist es, ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem anzustoßen. Dazu muss dieses revolutioniert werden – unsere Lebensmittel müssen zukunftssicherer und nachhaltiger produziert und bewusster von uns konsumiert werden. Wie das erreicht werden soll, erläuterte Georg Schirrmacher von EIT Food, Europas führender Institution für Innovationen und Technologien im Bereich Lebensmittel, Agrar und Ernährung, den Besuchern der Ideenfutter Expo 2020 (hier geht es zu seinem Vortrag ). Konkret müssen alle Akteure entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette zu einer integrativen und innovativen Gemeinschaft vernetzt werden, die den Verbraucher aktiv beteiligt.

Der Bioökonomie kommt dabei eine herausragende Stellung zu: Nebenströme aus der Lebensmittelproduktion können wertvolle Inputs an anderer Stelle werden, aber auch für die Lagerung, Konservierung und den Transport von Nahrungsmitteln werden biobasierte Strategien entwickelt. So könnte beispielsweise das Gewächshaus eines Landwirts von der Wärmeentwicklung einer nahegelegenen Fabrik beheizt werden. Statt Unmengen von Energie und natürlich auch Kosten für Wärme bzw. Strom zu verschwenden, kann der Landwirt die Wärme nutzen, die die Fabrik ohnehin produziert und auf diese Weise bioökonomisch handeln.

Es muss also ein Umdenken stattfinden – wie machen wir nachhaltig Geschäfte? Welche neuen Geschäftsmodelle entstehen? Und: wie müssen sich Branchen neu aufstellen, um Nachhaltigkeit zu gewährleisten und ressourceneffizient zu wirtschaften?

Bioökonomie: eine Definition
Das wichtigste Ziel der Bioökonomie ist es, den Verbrauch von fossilen Ressourcen wie Kohle und Erdöl zu reduzieren und einen Wandel zu einer Wirtschafts- und Lebensweise auf der Grundlage nachwachsender Rohstoffe zu fördern. So gibt es beispielsweise einen Produzenten von Bio-Äpfeln, der den anfallenden Abfall bislang zur Kompostierung einsetzt. Bioökonomisch wäre es nun, mit Hilfe von Enzymen bestimmte Säuren daraus herzustellen, welche ein bedeutender Teil spezieller Augentropfen sind.

Oder ein Beispiel aus der Region: die innere weiße Gewebeschicht in Zitrusfrüchten namens „Citrus-Albedo“ gilt bislang als Abfallstoff in der Industrie. Doch man kann sie als natürliches Trübungsmittel einsetzen. Mit mehreren Industriepartnern entwickeln Biotechnologen der nordrhein-westfälischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe daher ein enzymatisches Verfahren, um aus der Gewebeschicht die geeigneten Bestandteile für das Trübungsmittel extrahieren zu können.

Zwischenfazit: Wissenschaft und Forschung in der Bioökonomie verknüpfen neueste natur-, technik- und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse, um möglichst effiziente Wege der Produktion und Nutzung nachwachsender Rohstoffe zu entwickeln. Innovationen der Bioökonomie vereinen biologisches Wissen mit technologischen Lösungen und nutzen die natürlichen Eigenschaften biologischer Rohstoffe in Bezug auf ihre Kreislauffähigkeit, Erneuerbarkeit und Vielseitigkeit. Die Bioökonomie hat damit das Potenzial, neuartige Produkte und Verfahren hervorzubringen.

Bioökonomie im Unternehmen: Wo anfangen?
In NRW unterstützen verschiedene Organisationen und Institutionen die Unternehmen bei diesem Perspektivwechsel. Im Rheinischen Revier ist zum Beispiel die Modellregion BioökonomieREVIER aktiv. Hier arbeiten innovative Unternehmen, Start-ups, Vereine und Verbände der Lebensmittelwirtschaft Hand in Hand, um neue Produkte zu entwickeln, Partner in der Wissenschaft zu finden und nachhaltiger zu wirtschaften. So werden in den Innovationslaboren „Integrierte Bioraffinerie“ beispielsweise Biomasse und Reststoffe aus der Lebensmittelindustrie und Agrarproduktion weiterverarbeitet und dezentrale Konzepte zur Gewinnung von biogenen Rohstoffen aufgebaut. Die Innovationslabore "Innovative Landwirtschaft" sollen dabei als betriebswirtschaftliche Anreizsysteme für mehr Nachhaltigkeit gelten; es werden moderne Technologien wie Künstliche Intelligenz, Fotovoltaik oder Robotik genutzt und neue Wertschöpfungskonzepte entwickelt.

Bei der Weiterentwicklung der so identifizierten Potentiale in konkrete Geschäftsideen unterstützt der BIOBoosteRR-Accelerator. Ein konkretes Beispiel präsentierten Niklas Hielscher (BIOBoosteRR Accelerator) und Ingmar Stock (compreneur), im Rahmen eines runden Tisches auf der Ideenfutter Expo 2020 (zum Video):

  • Ein landwirtschaftlicher Betrieb hat ein hohes Abfallaufkommen in Form von Blättern der Tomatenpflanze. Diese Abfälle müssen kostenpflichtig entsorgt werden. Auf der anderen Seite kauft das Unternehmen für viel Geld Material ein, das für die Verpackung seiner Produkte notwendig ist. 
  • Mit der Idee, die Ernteabfälle sinnvoll zu nutzen und die sowohl bei Einkauf und Entsorgung anfallenden Kosten einzusparen, wendete sich der Betrieb an das BioökonomieREVIER.
  • In dem Netzwerk wurde ein Partner identifiziert, der nun an einem technischen Verfahren forscht, aus besagten Tomatenblättern Verpackungsmaterialien zu produzieren. 

Nebenbemerkung: Das Hamburger Startup „BIO-LUTIONS“, wandelt Ernteabfälle und Wasser in Verpackungsmaterial um. So soll die übermäßige Verwendung von Kunststoffen auf Erdölbasis und Papier auf Zellulosebasis in modernen Gesellschaften beendet und die lokale Wertschöpfung gesichert werden.

Chancen durch Bioökonomie in Land- und Ernährungswirtschaft
"Es gibt keine Abfälle, nur Rohstoffe", so die Schlussfolgerung aus den Projekten des BioökonomieREVIER, so  Dr. Christian Klar, Leiter der Koordinierungsstelle, auf der Ideenfutter Expo (hier sein Vortrag im Video). Bioökonomie ist demnach im Großen und Ganzen eine hervorragende Grundlage für neue Geschäftsmodelle und Wertschöpfung innerhalb der Land- und Ernährungswirtschaft.

Wichtig, so Christian, sei die Mehrfachnutzung ein und desselben Stoffes zu etablieren. Denn neben der Nahrungs- und Futtermittelnutzung, liegt viel Potential in der stofflichen und energetischen Nutzung von Biomasse.

Bildnachweis: Forschungszentrum Jülich/Sascha Kreklau

Geschrieben von

Lea Sustersic

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