„Erfolgreiche Innovatoren suchen nach Fehlern in ihrer Idee"

In der dritten Folge unseres neuen Formats "Ideenfutter Talk" hat sich unsere Co-Founder M. Lee Greene mit Hila Attaie von innojump zum virtuellen Austausch verabredet. Wie geht erfolgreiche Innovation in der Ernährungswirtschaft? In unserem Gespräch teilt Hila ihre Erfahrungen aus 20 Jahren Food-Innovation. Auch dieses Interview gibt es wahlweise in Video- oder Schriftform. Hier geht's zu  unserem YouTube Kanal




Lee: Hallo, hier sind wir wieder beim Ideenfutter Talk heute mit Hila Attaie von innojump. Und wir sprechen über ein ganz spannendes Thema, nämlich Food-Innovation oder Innovation im ganzen Food Bereich und Hilas Erfahrung. Du machst das schon ganz lange, richtig?

 

Hila: Ich bin Lebensmittel-Ingenieurin mit einem MBA in International Agri-Food Management und seitdem ich 1997 mein Studium abgeschlossen habe, bin ich in der Lebensmittelbranche tätig. In den verschiedensten Bereichen, wie beispielsweise Produktentwicklung, Innovation, Prozessentwicklung, aber auch mit einigen Stationen bei internationalen Organisationen.

 

Lee: Hast du etwas entwickelt, wo du sagst „Das habt ihr bestimmt schon mal probiert, gegessen oder im Supermarkt gesehen“?

 

Hila: Ich denke schon. Ich habe ganz lange in der Schokoladen-Industrie gearbeitet und ich bin mir sicher, dass ihr diese Schokoladen auch schon gegessen habt.

 

Lee: Großartig, sehr spannend. Jetzt unterstützt du Unternehmen und Start-ups. Du bist mit innojump selbstständig unterwegs, und auch Expertin bei uns im Foodhub NRW, was uns sehr freut. Was ist es, was du heute genau machst, mit deinem Wissen und deiner Erfahrung?

 

Hila: Ich habe mich in den letzten zehn Jahren mehr und mehr auf das Thema Innovationsmanagement fokussiert. Ich habe mich schlau gemacht, was es diesbezüglich alles gibt und bin auf Benno van Aerssen gestoßen. Er ist ein Partner vom Verrocchio Institut, mit dem ich heute zusammenarbeite.

Dort habe ich sehr viel über Innovationen, Innovationsmanagement sowie Kreativitätstechniken und auch nicht nur über das Sammeln, sondern auch über das Bewerten von Ideen gelernt. Das habe ich in die Praxis umgesetzt – heute bin ich als selbstständige Beraterin unterwegs und möchte gerne das Thema Nachhaltigkeit mit Innovationen voranbringen.


Nachhaltige Innovationen entlang der gesamten Wertschöpfungskette

 

Lee: Nachhaltigkeit ist derzeit das große Thema, was alle umtreibt. Die meisten Unternehmen werden sagen, sie seien innovativ, weil sie Bio-Plastik oder andere alternative Verpackungsmaterialien verwenden. Das ist wichtig, ohne Frage –  das ist aber nicht die Art von Nachhaltigkeits-Innovation, von der du sprichst?

 

Hila: Genau. Wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen, muss jedes Unternehmen für sich selber erst einmal definieren, welchen Beitrag es an welcher Stelle leisten kann. Wie können wir Nachhaltigkeit voranbringen? Denn man kann nicht alles machen. Darum ist es wichtig, dass man erstmal über die Hintergründe aufklärt und die ganze Wertschöpfungskette betrachtet.

 

Lee: Das ist auch die Motivation des Foodhub NRW – Innovationen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu betrachten. Wie wird Innovation denn auf Unternehmensseite definiert? Hast du dann in deiner Zeit in der Innovations-Entwicklung eine Veränderung wahrgenommen? 

 

Hila: Vom Markt und vom Konsumenten aus betrachtet, hat sich das Wort Innovation schon geändert. Die Corona Krise hat die Konsumenten wachgerüttelt. Sie suchen nun Wege, wie sie auch zum Thema Nachhaltigkeit beitragen können. Das ist eine Art gesellschaftliche Bewegung. 

 

Lee: Ich frage jetzt mal ganz naiv: War der Konsumentenwunsch nicht immer das Zentrum allen Handelns vom Unternehmen bei der Entwicklung von Produkt-Innovationen? Welche Facette hat sich geändert oder hat sich der Angang oder die Technik geändert? Nutzen wir jetzt mehr Daten? 

 

Hila: Ich glaube vor circa 20 Jahren waren es die großen Marken, die den Takt vorgegeben haben. Heute beobachten wir, dass die kleineren Unternehmen die Großen ein wenig überholen. Die Kleinen gehen ganz anders mit dem Thema Innovation um – sie sind viel agiler. Das liegt daran, dass sie auf ihrem Schreibtisch nur dieses eine Projekt haben, das sie vorantreiben wollen, während die Großen einfach zu viele Themen auf dem Tisch haben.

Die kleineren Unternehmen und auch Start-ups mischen die Märkte mit neuen Ansätzen auf, die die Großen ein bisschen nervös machen.


Richtige Innovationssprünge anstelle des x-ten Joghurts

 

Lee: Sehr spannend zu beobachten, wie die Kombination von Produkt-Start-ups und Technologie hier Veränderung getrieben hat. Ohne die Technologie, aka das Internet und E-Commerce, hätten viele Start-ups mit ihren Produkten gar keine Reichweite bekommen – viele Nischen hätten sich gar nicht zu Märkten entwickeln können.

Mein liebstes Beispiel ist die Milch. Als ich Deutschland verlassen habe 2006, da gab es 1,5 % Fett Milch und 3 % Fett Milch im Kühlregal und dann hatte man eine H-Milch im ungekühlten Regal. Wenn du jetzt zu Rewe gehst, stehen allein im Eigenmarkensegment der Rewe H-Milch acht verschiedene Sorten: bio, vegan, lactosefrei…

 

Diese Entwicklung der Eigenmarken erhöht ja auch massiv den Innovationsdruck für kleine und mittelständische Hersteller.

Große Unternehmen Konzerne können sich auch mal leisten, eine Marke aus dem Portfolio zu entfernen. In den USA hat Coca-Cola zuletzt Odwalla rausgeschmissen. Das war der erste frisch gepressten Orangensaft, der im Kühlregal war. Aber die Kühllogistik war zu kompliziert im gestiegenen Wettbewerb. Coca-Cola kann sich das leisten – für ein KMU oder auch für ein Start-up, das sich diese Nische erarbeitet hatte, ist das natürlich etwas anderes. 

Wie sollten Unternehmen denn jetzt mit diesen Veränderungsdruck umgehen? Wo fängt man an?

 

Hila: Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass man den Markt nicht vollstopft, um die Regale, die sowieso mit verschiedenen Alternativen in der gleichen Kategorie überfüllt sind, noch voller zu machen. Wenn ich vor dem Kühlregal stehe und einen Joghurt haben möchte, dann habe ich so viele Möglichkeiten. Meiner Meinung nach ist es nicht sinnvoll noch den nächsten Joghurt mit einer anderen Geschmacksrichtung einzubringen.

Wir müssen richtige Innovationssprünge machen und den Konsumenten Dinge bieten, die er noch nicht kennt. Dazu muss sich die Lebensmittelbranche zusammentun, um verschiedene Aspekte zusammenzubringen: Nachhaltigkeit, Verpackung, Produktion, Know-how, den Ideenreichtum von Start-ups und die Erfahrung von den Großen.

Da gibt es so ein schönes afrikanisches Sprichwort: „Wenn du schnell gehen willst, geh allein. Wenn du weit gehen willst, geh mit anderen.“ Und ich glaube, das trifft heute zu. Wenn wir darauf achten, dass es gut für die Umwelt ist, gut für die Gesundheit aber auch für das Portemonnaie ist, dann wird das nur zusammen gelingen.

 

Lee: Dazu gab es eine interessante Studie, nach der Konsumenten nachhaltige, regionale, gesunde Lebensmittel wollen, aber gleichzeitig dafür auch weniger Geld ausgeben wollen. Wie passt das deiner Meinung nach zusammen?

 

Hila: Wenn man das tiefe Verständnis für den Konsumenten findet, seine „Schmerzen“ kennt und weiß, was er in seinem Alltag bei der Verwendung seiner Produkte richtig hasst, dann glaube ich das nicht. Dafür muss man auf ihn richtig eingehen und einen perfekten Fit finden zwischen dem, was der Konsument sucht und zwischen dem, was man anbietet.

Ich glaube sogar, dass der Konsument bereit ist, mehr zu zahlen, wenn man es tatsächlich schafft, seine „Schmerzen zu lindern“. 


Um den Konsumenten zu verstehen muss man allerdings richtig tief eintauchen. Früher in der Marktforschung hat man dem Konsumenten einfach Produkte gezeigt und ihn gefragt, ob es gefällt und was er dafür zahlen würde. Das ist heute mit den neueren Innovations-Methoden nicht mehr der Fall. Man kommt viel weiter, wenn man durch das Beobachten des Konsumenten Verhaltensweisen bemerkt, über die er sich gar nicht selber bewusst ist. 

Der Gründer von IKEA, Ingvar Kamprad, der hat vieles in seinem Unternehmen auf die Beine gestellt, nur durch das Beobachten. Durch das genaue Beobachten davon, was die Leute machen, wo sie hingehen, was sie einkaufen, wie sie Produkte tragen etc. Durch die ganz vielen feinen Details der Beobachtung hat er es geschafft, Dinge bei Ikea zu positionieren, die man aus der klassischen Marktforschung wahrscheinlich nicht gemacht hätte. 

 

Lee: Da bin ich ganz bei dir. Der Gedanke eines Shadowing der Konsumenten ist ja auch nicht neu, manchmal hat man jedoch einfach keine Zeit dafür. Heutzutage nutzen viele Unternehmen und Start-ups ja Daten, welche die Nutzer im Internet hinterlassen. Allerdings bleibt da offen, ob diese Daten tatsächlich abbilden, wie Menschen wirklich konsumieren. 

Streetbees hat da eine interessante Lösung: Das Start-up kommt aus London und hat eine Marktforschungs-App entwickelt. Die User erklären sich bereit, Aufgaben zu machen und Dinge zu testen und dabei ihr Konsumverhalten zu zeigen. Da sind Fragen drin wie „Wie bereitet ihr euer Frühstück vor?“ Die Nutzer sollen dann filmen, wie sie ihr Frühstück vorbereiten und das in der App hochladen. Dann wird das Ganze mithilfe von künstlicher Intelligenz ausgewertet. Da wird also Technologie ganz spannend genutzt, um neue Kunden-Insights zu gewinnen. 

 

Immer nah am Kunden sein


Hila: Ein weiterer Aspekt dazu: Ich kann aus meiner Erfahrung sagen, dass den direkten Austausch mit dem Konsumenten nichts ersetzen kann. Mit seiner Idee früh rauszugehen, den direkten Kontakt zu suchen, das direkte Feedback einzuholen – das ersetzt keine Marktforschung. 

Das sind alles unterstützende Maßnahmen. Du hast mich eben gefragt, wie Innovation sich geändert hat. Da hat man früher wahrscheinlich viel im stillen Kämmerlein für sich gearbeitet. Alles geheimgehalten, mit niemandem drüber gesprochen und dann hat es entweder geklappt wenn das Produkt im Regal war, oder es ist gefloppt. Ich glaube, ein interessanter und wichtiger Ansatz beim Innovieren ist, dass man in kleinen Schleifen immer wieder versucht, seine Idee im Entwurf zu verbessern. Man sollte im Gespräch mit Konsumenten oder mit potentiellen Kunden nicht die Bestätigung suchen, dass man eine tolle Idee hat, sondern nach dem Fehler suchen und aus jedem Gespräch lernen und in kleinen iterativen Schleifen das Produkt oder die Idee verbessern – vom Entwurf bis zum Schluss, wenn es fertig im Regal steht. Das ist aus meiner Sicht sehr wichtig, um die Erfolgswahrscheinlichkeit im Markt zu erhöhen. Schnell rausgehen, Prototypen basteln, kleine Entwürfe machen, den direkten Kontakt suchen, Feedback einholen, agil arbeiten und positiv bleiben.

 

Lee: Da verlangst du natürlich eine ganz neue Art der Fehlerkultur. Wie siehst du das? Entwickelt sich da auch ein neues Mindset?

 

Hila: Das A und O ist Mindset. Nur wenn ein Unternehmer eine klare Vision hat, mit der er sein ganzes Team ansteckt und dieses Mindset vorlebt, kann das funktionieren.

Das müssen Leute sein, die das Interesse haben, diese Gespräche zu führen und aus den Fehlern zu lernen. Das muss man wollen und dafür muss man sich auch mental öffnen. 

Es gibt drei Dinge aus meiner Sicht, die wichtig sind, um das Ganze umzusetzen: das ist einmal das Mindset, also das Wollen, dann das Wissen, also die Kompetenzen zu haben, wie man das macht und das Können, also den Freiraum zu haben, die Dinge auch zu machen. 

Diese drei Dinge sind das Fundament für das Innovieren.

 

Lee: Das war jetzt fast das perfekte Schlusswort. Ich habe mir noch eine letzte Frage: Wie macht man das am besten? Soll man eine Innovations-Abteilung aufstellen, die sich 100 % auf Innovation konzentriert oder soll jeder bestehende Experten in den verschiedenen Geschäftsfeldern eine festgeschriebene Zeit für Innovation bereitstellen? Wie geht man da operativ wirklich gut vor? Wir haben ja auch alles gesehen: die ganzen Acceleratoren, Think Tanks und Incubation Labs, die große Marken überall aufgebaut haben. Einige haben es geschafft, die meisten haben wieder zugemacht. Was sind deine Erfahrungen gerade in der Lebensmittelbranche? Was ist das operative Geheimrezept, die Innovation dann wirklich richtig aufzustellen?

 

Hila: Eine Mischung aus beidem. Es ist wichtig, eine Bandbreite an Köpfen mit verschiedenen Erfahrungen und Sichtweisen zu haben, wenn wir in die Ideenentwicklung gehen. Wenn immer nur die gleichen Leute Ideen entwickeln sollen, wird das nicht so vielfältig ausfallen, wie wenn man verschiedene Leute mit unterschiedlichem Background zusammenbringt. Man kann sich auch als Mittelständler für bestimmte Projekte Leute von außen einholen, das können Konsumenten aus der Zielgruppe sein oder auch Leute aus dem Handel. Somit bringt man ganz viele verschiedene Blickwinkel zusammen. Und da sind wir wieder beim Netzwerken. Es ist ganz wichtig, dass man sich zusammentut und die Sachen gemeinsam entwickelt.

 

Lee: Da haben wir es magischerweise geschafft, dass wir zum Ende dieses Gesprächs wieder dabei gelandet sind, wie wichtig der Foodhub NRW ist. Das waren großartige Insights! Danke, dass du dir die Zeit genommen hast. 

 

Veranstaltungstipp: Hila und Benno bieten für die Community des NRW am 31.5. das Event "Im Kopfstand zur Innovation" an. Es erwartet dich ein spannender Vortrag mit vielen Praxisbeispielen, ein Anwendungsteil (Vorstellung & Anwendung des "Potential-Radars") und ein reger Austausch zum Thema Innovation in der Lebensmittelbranche. Hier gibt es mehr Informationen.



Geschrieben von

M. Lee Greene

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