Alle Jahre wieder findet die Düsseldorfer Start-up Woche statt. Waren wir die letzten Jahre noch mit großen Netzwerkveranstaltungen dabei, erstrahlte unser diesjähriger Beitrag online.
Am 10. Juni drehte sich alles um das Thema „Gastronomie im Wandel“: Welche Meta-Trends beeinflussen die Branche? Wo sind die neuen Geschäftsideen? Welche Innovationen haben die Coronakrise gemeistert? Um diese Fragen zu beantworten, luden wir vier Start-up Gründer ein:
Laura Müller setzt mit dem Deli BIRDIE & Co. auf authentische Erlebnisse für ihre Kunden – egal ob in einem ihrer drei Standorte oder durch Home Delivery. Für sie steht neben der Qualität des Essens vor allem ein herzlicher Kontakt mit den Kunden im Vordergrund.
Für Tim Breker müssen neue Gastronomiekonzepte vor allem authentisch, nachhaltig und digital sein. Mit seinem Start-up Vytal, das ein digitales pfandfreies Mehrwegkonzept entwickelt hat, verbindet er genau diese Aspekte.
Johannes Decker von Feldling integriert in seinem Konzept des regionalen Lieferservices für die Gastronomie drei Trends des aktuellen BMEL Ernährungsreports: Ein vielfältiges regionales Angebot, kurze, transparente und flexible Lieferketten sowie kooperative Partnerschaften.
Ben Küstner von Pottsalat glaubt, dass in Zeiten von Social Media, die Lage eines Restaurants irrelevant ist. Wer als Gastronom gut mit seinen Kunden kommuniziert und im Social Web präsent ist, der braucht keine 1A Lage in der Innenstadt. Aus diesem Grund setzt er komplett auf Lieferservice und holt seine Kunden dort ab, wo sie seiner Meinung nach eher zu finden sind als auf der Straße: In der digitalen Welt.
Diese Statements bildeten die Grundlage der jeweiligen Impulsvorträge der Referenten. Und trotz ihrer völlig unterschiedlichen Konzepte, vereint sie die Tatsache, dass sie alle gut durch die Corona-Pandemie gekommen sind und mit ihren Ideen, Visionen und auch ihrem bereits gelebten Berufsalltag die besten Voraussetzungen erfüllen, auch künftig weiter zu wachsen.
Konsumenten wollen wissen wo ihr Essen herkommt und schätzen Regionalität. Laut einer aktuellen Studie des BMEL Ernährungsreports legen 82% der Konsumenten Wert auf regionale Lebensmittel.
Warum nicht auch in der Gastronomie?
Hier setzt Feldling an: gerade mal 30 km ist der Radius ihres Lieferservices, der die Produkte regionaler Erzeuger zu regionalen Gastronomen bringen will. Aktuell ist das Angebot in der Pilotphase und Kunden sind Großküchen für KiTA-Verpflegung.
Dass Regionalität teils schwer umzusetzen ist, da sind sich Laura und Ben einig. Auch, weil Avocados nicht in NRW wachsen, Kunden bestimmte Produkte aber trotzdem verlangen. So hat Laura für das Avocado-Toast eine Alternative aus Erbsenpüree mit Minze kreiert: Schmeckt super, aber am Ende greift der Kunde doch lieber nach dem Avocado-Toast. Trotzdem setzt Laura Regionalität um, wo es machbar ist: zum Beispiel mit regionaler Milch und der Kooperation mit einem örtlichen Bäcker. Auch Pottsalat bezieht so viele Produkte wie möglich von örtlichen Erzeugern. Allerdings warnt Ben: Konzepte die sehr hohe Mengen der gleichen Produkte verarbeiten, bringen die einzelnen Erzeuger schnell an ihre Grenzen. Daher: Regionale Lieferstrukturen ja, aber Systemgastronomen sollten von dem Versprechen absehen, mit einem Erzeuger oder einem Kernteam zusammenzuarbeiten.
Das stärker wachsende Bewusstsein für regionale Produkte steht in enger Verbindung zu dem ebenfalls wachsenden Interesse an Nachhaltigkeit.
Ein weiterer Aspekt von Regionalität und gleichzeitig auch von Qualität kann darin bestehen, möglichst viel selbst zu machen und wenig zuzukaufen. In diesem Punkt sind sich Laura und Tim einig: Beide machen so viel wie möglich selbst. Im Falle von BIRDIE & Co. geht das so weit, dass sie sämtliche Aufstriche, Kuchen, Energy Balls, Granola und sogar Erdnussmus selbst produzieren.
Der Wunsch nach Nachhaltigkeit treibt Regionalität, aber Nachhaltigkeit in der Gastro hat viele Facetten.
Was wird angebaut? Je regionaler die Produkte angebaut werden, desto niedriger sind die Co2-Emissionen. Züchten wir also nun jetzt mit hohem Energie- und Wassereinsatz Avocados in Köln? Nein, sagt Johannes. Vielmehr achtet Feldling bei der Kooperation mit Landwirten darauf, dass zwar durchaus exotische Produkte wie Süßkartoffeln oder Quinoa angebaut und vertrieben werden aber nur dann, wenn die Bedürfnisse der besagten Lebensmittel mit dem hiesigen Klima zu vereinbaren sind und nicht etwa unverhältnismäßig viel Wasser für den Anbau benötigt wird. Denn das würde die Ökobilanz wieder drastisch ins Wanken bringen.
Wie wird ausgeliefert? Nicht zu unterschätzen ist die Wahl der Verkehrsmittel für den Lieferservice. BIRDIE & Co., als auch Pottsalat fahren ihre Bestellungen daher ausschließlich mit eigenen E-Autos aus.
Was wird angeboten? Für Ben beginnt Nachhaltigkeit eines Gastro-Betriebes bereits bei der Entscheidung, wie fleischlastig und gesund das Menü ist. Die Entscheidung von Pottsalat, ausschließlich frische Salate und Bowls anzubieten, wurde beim Start genau so bewusst getroffen. Eine gesündere Alternative zum üblichen Kantinenessen der Mittagspause als Beitrag zur Nachhaltigkeit. Mit facettenreichen Kreationen fällt es dem Konsumenten leicht, sich gesund zu ernähren und Junk Food außen vor zu lassen.
Wie wird verpackt? Spätestens seit der Pandemie springt uns das Thema To-Go-Verpackung ins Auge. Das Kölner Start-up Vytal hat sich bereits vor einigen Jahren dem Thema des pfandfreien Mehrwegsystems verschrieben. Ihre Schalen und Becher können – Stand heute – bis zu 200-mal wiederverwendet werden. Bereits ab der 10. Nutzung sind sie damit, trotz aufwändigerer Produktion, nachhaltiger als Einwegverpackungen. Laut Tim liegt die Rückgabequote bei 99% und das im Schnitt bereits nach 3 Tagen. Das Geheimnis: Der Konsument hat 14 Tage lang Zeit, das Mehrweggeschirr zurück zu bringen, erst dann fällt eine Gebühr an, die dann jedoch verhältnismäßig hoch ist. Das erzeugt den nötigen Druck, damit die Behälter nicht wie andere Pfandprodukte Zuhause gehortet werden.
Die Essenz der Diskussion um Nachhaltigkeit wurde von Tim treffend zusammengefasst: „Nachhaltigkeit darf kein Verzicht bedeuten“. Vielmehr müsse der smarte Einsatz von Konzepten und Technologien Konsumenten ein besseres Erlebnis bieten.
In der langen Zeit der Lockdowns war es neben dem Takeaway-Geschäft für viele Gastronomen die einzige Möglichkeit, sich über Wasser zu halten. Ob über Drittanbieter wie Lieferando oder mit eigenem Lieferservice: dieser zusätzliche Vertriebskanal wird auch nach der Pandemie erhalten bleiben.
Nichts Neues für Pottsalat. Bereits seit 2016 produziert das Team in Essen ausschließlich für den eigenen Lieferservice Essen, seit 2019 auch in Dortmund – mit neuen Standorten in der ganzen Region in Planung. Zwar haben sie Produktionsstätten, in denen die zuvor bestellten Gerichte auch abgeholt werden können, de facto machen das aber lediglich 5 % der Kunden. Denn verweilen kann man bei ihnen nicht, es gibt keinerlei Tische oder einladende Aufenthaltsmöglichkeiten vor Ort. Ihr Konzept basiert komplett auf dem Lieferservice. Dass es ohne in Zeiten der Pandemie nicht geht, musste auch BIRDIE & Co. lernen. Letztendlich mit so viel Erfolg, dass der Lieferservice weiter ausgebaut wird, auch wenn die Gastronomie wieder öffnen darf.
Sowohl BIRDIE & Co., als auch Pottsalat liefern ihr Essen selbst aus und nicht etwa über externe Dienstleister wie Lieferando & Co. So wird die Marke von der Küche bis zur Kundenhaustür transportiert. Außerdem schafft es eine Nähe und Bindung zum Kunden, die gerade bei BIRDIE & Co. von höchster Bedeutung ist. Laura ist es wichtig, dass das Wohlfühlfeeling, das Kunden haben, wenn sie ihr Deli betreten auch dann noch bestehen bleibt, wenn das Essen zu ihnen gebracht wird. Auch hier soll der Erlebnischarakter erhalten bleiben.
Auch wenn Deutschland noch immer als digitale Wüste bezeichnet wird, so ist auch in der Gastro Digitalität auf dem Vormarsch. Bestell-Apps oder Onlineshops spielen eine immer größere Rolle. So kann bei BIRDIE & Co. nun auch über die Homepage Essen für Takeaway oder den Lieferservice bestellt werden. In einem Onlineshop kann man das selbstgemachte Granola oder Erdnussmus ordern.
Für Ben ist digitale Kommunikation der zentrale Erfolgsfaktor für Gastronomen. Laufkundschaft gibt es nicht mehr, und klassische Ladenkonzepte in Innenstädten sind hinfällig. Warum? Die Antwort ist das Smartphone. Weil Menschen auf ihr Smartphone statt auf die Straße schauend durch die Straßen laufen, will er die Konsumenten genau dort abholen: In der digitalen Welt. Aus diesem Grund investiert Pottsalat vor allem in digitales Marketing, allen voran auf Instagram und Facebook. Auch die Bestellungen finden zu 92% über die eigene Webseite statt. Aktuell arbeitet das Start-up, das kürzlich erfolgreich eine Finanzierungsrunde abgeschlossen hat.
Auch für Vytal spielt Digitalität eine essentielle Rolle. Denn ihr pfandfreies Mehrwegsystem funktioniert über einen QR-Code, der auf jedem ihrer Produkte ist. Wird eine Schale oder ein Becher ausgeliehen, muss der Gastronom den QR-Code zuvor einscannen. Dasselbe geschieht bei der Annahme. Um Vytal nutzen zu können, muss einmalig eine kostenpflichtige App heruntergeladen werden, in der alles registriert wird.
Ein Ort, an dem man sich wohlfühlt, mit Freunden zusammenkommt und Erlebnisse schafft, an die man sich gerne lange zurückerinnert: Inmitten des 2. Lockdowns eröffnete Laura knapp fünf Jahre nach der Gründung von BIRDIE & Co ihre dritte Filiale. Ihr Erfolgsrezept liegt ihrer Meinung nach darin, dass sie einen sogenannten dritten Raum für ihre Gäste schaffen: „Wir möchten Orte schaffen, an denen sich unsere Gäste wohlfühlen und sie abschalten können. An denen sie zusammenkommen, sich austauschen und Erfahrungen machen, an die sie sich noch lange zurückerinnern werden.“ In den drei Filialen gelingt dies vor allem durch die heimelige Atmosphäre und den authentischen, herzlichen und aufmerksamen Service, der für das BIRDIE & Co.-Team an oberster Stelle steht. Nun war die Gastronomie jedoch mehr als ein halbes Jahr geschlossen. Wie konnten sie dieses Alleinstellungsmerkmal in der Zwischenzeit aufrechterhalten? „Wir haben einen Lieferservice eingerichtet und fahren unsere Bestellungen selbst aus. Am Anfang habe ich auch dabei geholfen. So bleibt der Kundenkontakt erhalten und das herzliche, positive Gefühl beim Bestellen unseres Angebotes bestehen.“
Fazit der Referenten: „Nichts ist beständiger als der Wandel“ gilt auch für die Gastronomie. Erfolgreiche Gastronomen und Zulieferer müssen Trends beobachten, im engen Austausch zu ihren Kunden stehen, agil und anpassungsfähig sein. Wem dieser Spagat gelingt, kann durchaus auch in Krisenzeiten wachsen und gestärkt aus ihnen hervorgehen – wie BIRDIE & Co, Pottsalat, Vytal und Feldling beweisen. Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist auch das Netzwerken unter Gleichgesinnten, das in Communitys wie dem Foodhub NRW möglich ist. So konnte der Foodhub NRW mit dem Kontakt zum Kölner Ernährungsrat beispielsweise einen wichtigen Kooperationspartner für Feldling gewinnen. Und selbst während der eifrigen Diskussionsrunde im Rahmen der Düsseldorfer Start-up Woche entstanden bereits weitere mögliche Kooperationsideen, etwa dass BIRDIE & Co. künftig womöglich Quinoa von den Feldhelden Rheinland beziehen könnte, dem anderen Start-up von Johannes Decker.
Wir danken allen Teilnehmern und Referenten für diesen anregenden und inspirierenden Austausch!
Wichtiger Hinweis für Gastro-Gründer: Die Wirtschaftsförderung Dortmund sucht Gastro-Gründer, die die Dortmunder Gastro-Szene mit frischen Ideen bereichern möchten. Macht mit beim Gründer-Wettbewerb „GESCHMACKSTALENTE“, profitiert von Coachings und Expertenwissen, um euren Business Plan zu finalisieren. Den besten Konzepten winkeln Preise im Gesamtwert von mehr als 80.000 Euro. Bedingung für die Ausschüttung der Gewinne ist eine Ansiedlung in Dortmund.
Der Startschuss fiel am 15. Juni mit einer Auftaktveranstaltung, aber die Teilnahme Wettbewerb ist weiterhin möglich. Interessierte finden auf der Website www.geschmackstalente.de alle Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung.
Wir vernetzen Akteure der Agrar- und Lebensmittelbranche vom Feld zum Regal, um gemeinsam zukunftsgerichtete Lösungen für die Branchen zu entwickeln.
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