Nachhaltige Verpackung: Mythen, Fakten und neue Gesetze

Die Wahl der richtigen Verpackung wird für Unternehmen der Lebensmittelbranche immer komplexer. Zwischen gesetzlichen Vorgaben, Nachhaltigkeitszielen und praktischen Anforderungen müssen zahlreiche Faktoren berücksichtigt werden. Unser Webinar "Lebensmittel sicher und nachhaltig verpacken – ein Praxischeck" mit den beiden Verpackungsexperten Till Isensee und Liane Miller von der TILISCO GmbH lieferte wichtige Einblicke in die aktuellen Herausforderungen und Lösungsansätze. Es fand im Rahmen des Projekts TransformERN statt. Im Folgenden haben wir die wichtigsten Informationen und Erkenntnisse für dich zusammengefasst:


Die wichtigste Erkenntnis vorweg

Es gibt nicht die eine nachhaltige Verpackung. Jede Verpackungslösung hat ihre spezifischen Vor- und Nachteile. Der Schlüssel liegt darin, die richtige Balance für das jeweilige Produkt und Unternehmen zu finden.

Grundlagen der Verpackungsentwicklung

Produktschutz steht an erster Stelle. Bevor über Nachhaltigkeit nachgedacht wird, müssen die grundlegenden Anforderungen an die Verpackung definiert werden:

Produktanforderungen klären:

  • Welche Sauerstoffbarriere benötigt mein Produkt?
  • Welche Wasserdampfbarriere ist erforderlich?
  • Wie lange soll die Haltbarkeit sein (unter Kühlung/ohne Kühlung)?
  • Welche Funktionen muss die Verpackung erfüllen (Öffnung, Convenience)? 

Technische Rahmenbedingungen:

  • B2B oder B2C Anwendung?
  • Welcher Packstoff ist geeignet?
  • Welche Form soll das Packmittel haben?
  • Was kann mein Lohnabfüller verarbeiten? 

Weitere wichtige Faktoren:

  • Gesetzliche Anforderungen und Kennzeichnungspflichten;
  • Rolle der Verpackung im Marketingkonzept;
  • Kompatibilität mit bestehenden Maschinen;
  • Logistik und Verfügbarkeit neuer Materialien;
  • Design for Recycling und Kreislaufwirtschaft.
      

Die PPWR: Neue gesetzliche Anforderungen ab 2026

Die Packaging and Packaging Waste Regulation (PPWR) der EU ist am 12. Februar 2025 in Kraft getreten und betrifft alle Unternehmen, die verpackte Produkte auf den Markt bringen. Eine Übergangszeit gilt bis zum 26. August 2026, ab dann findet sie Anwendung.

Zentrale Anforderungen der PPWR

Konformitätserklärung (Artikel 35):

  • Jede Verpackung benötigt eine Konformitätserklärung;
  • Dokumentation muss innerhalb von 10 Tagen vorgelegt werden können;
  • betrifft alle Verpackungsarten, nicht nur Konsumentenverpackungen. 

Stoffliche Beschränkungen:

  • Verbot von PFAS in Lebensmittelverpackungen ab 2026
    Achtung bei der Verwendung des Begriffs „PFAS-frei“, dieser ist rechtlich nicht eindeutig und kann irreführend sein;
  • Beschränkung von Schwermetallen;
  • bereits jetzt Alternativen für PFAS-beschichtete Verpackungen suchen. 

Recyclingfähigkeit:

  • Ab 2030: Mindestrecyclingfähigkeit von 70% erforderlich.
  • Die Bewertung erfolgt nicht über den deutschen Mindeststandard, sondern über einen delegierten Rechtsakt der EU;
  • Monomaterialien bevorzugt gegenüber Multilayer-Verpackungen. 

Rezyklateinsatz:

  • Ab 2030: 10% Mindest-Rezyklateinsatz bei Lebensmittelverpackungen;
  • 35% bei Nicht-Lebensmittelverpackungen;
  • Ausnahmen für Kleinstunternehmen sowie bei Arznei-, Baby- und Säuglingsnahrung sowie Gefahrgut. 

Weitere Vorgaben:

  • Leerraum in Transportverpackungen maximal 50%;
  • Verpackungen auf erforderliches Mindestmaß reduzieren;
  • Kennzeichnung aller Verpackungen zur korrekten Entsorgung (ab 2026);
  • Kompostierbarkeit nur noch für Tee-/Kaffeeverpackungen und Obst-/Gemüseetiketten.
     

 

Wer definiert Nachhaltigkeit?

Die Definition von Nachhaltigkeit variiert je nach Akteur:

Gesetzgeber (EU):

  • Focus auf Design for Recycling;
  • Recyclingfähigkeit und Rezyklateinsatz;
  • Kreislaufwirtschaft.

Handel:

  • Orientierung am deutschen Mindeststandard;
  • Zertifikate für Recyclingfähigkeit;
  • Wenig Interesse an CO2-Bilanzen. 

NGOs (MyClimate etc.):

  • Focus auf CO2-Fußabdruck;
  • Life Cycle Assessment (LCA);
  • Achtung: Unterschiedliche Bemessungsgrundlagen beachten. 

Verbraucher:

  • "Plastik-Bashing" weit verbreitet;
  • Papier wird automatisch als besser wahrgenommen;
  • Bio-Kunststoffe haben positives Image.

Verpackungshersteller:

  • Monomaterialien für bessere Recyclingfähigkeit;
  • Rezyklateinsatz als Verkaufsargument.
     
     

Häufige Mythen und ihre Realität

Mythos: "Papier ist immer besser als Plastik"

  • Realität: Papier ist meist schwerer als Kunststoff;
  • für Barriere-Eigenschaften sind oft Kunststoffanteile nötig;
  • führt zu Verbundverpackungen mit schlechterer Recyclingfähigkeit. 

Mythos: "Bio-Kunststoffe sind nachhaltiger"

  • Realität: Wenig Produktionskapazitäten in Europa;
  • Import aus Südamerika mit entsprechendem CO2-Fußabdruck;
  • Unterscheidung zwischen biobasierten und biologisch abbaubaren Kunststoffen wichtig. 

Mythos: "Kompostierbare Verpackungen sind die Lösung"

  • Realität: In Deutschland nicht industriell kompostierbar;
  • gehören in den Restmüll, nicht in die Biotonne;
  • werden durch PPWR stark eingeschränkt.

 

Praktische Empfehlungen für Unternehmen

  1. Nachhaltigkeits-Ranking erstellen
    • Definiere Prioritäten in einem systematischen Ranking:
      • Was ist am wichtigsten für dein Unternehmen/Ihre Marke?
      • Recyclingfähigkeit, CO2-Fußabdruck, Materialreduktion, Kosten?
      • Erstelle ein technisches Anforderungsprofil
         
  2. Transformation als langfristiger Prozess
    • Verpackungsumstellung dauert Jahre, nicht Monate;
    • Qualifikation neuer Materialien ist zeitaufwändig;
    • nachhaltige Materialien laufen oft langsamer auf bestehenden Anlagen;
    • nicht alle Verpackungen gleichzeitig umstellbar.
       
  3. Vorsicht bei Marketing-Claims
    • Vermeide das Wort "plastikfrei" - ist rechtlich angreifbar;
    • sei vorsichtig mit Greenwashing-Vorwürfen;
    • lasse Claims von Experten prüfen.
       
  4. Lieferanten kritisch hinterfragen
    • Glaube nicht alles, was der Lieferant verspricht;
    • prüfe Spezifikationen genau;
    • verlange Nachweise für Nachhaltigkeits-Claims;
    • bei CO2-Bilanzen: Bemessungsgrundlagen und End-of-Life-Betrachtung prüfen.
       

Beispiele aus der Praxis

Das Webinar zeigte eindrücklich, wie vielfältig die Ansätze für nachhaltige Verpackungslösungen sein können. Die Milka Papierverpackung etwa reduziert zwar den Kunststoffanteil erheblich, ist aber entgegen der Wahrnehmung vieler Verbraucher nicht vollständig kunststofffrei.

Besonders interessant ist der K3-Becher mit seiner Pappbanderole, der durch Gewichtsreduktion punktet, gleichzeitig aber Herausforderungen bei der Recyclingfähigkeit mit sich bringt. 

Als Vorreiter gilt die Froschbeutelverpackung von der Firma Frosch, die als einzige bekannte Lösung eine 100% Recyclingfähigkeit erreicht - möglich wird dies durch spezielle Druckverfahren, die den Druckfarbenanteil unter 0,5 Prozent halten.

Bei TK-Papierverpackungen zeigt sich, wie aufwändig echte Innovation sein kann: Hier wurde über mehrere Jahre eine völlig neue Papiersorte entwickelt, um die besonderen Anforderungen von Tiefkühlprodukten zu erfüllen.

 

Zukunftsausblick

Die Verpackungsbranche steht vor spannenden Entwicklungen, die neue Möglichkeiten für nachhaltige Lösungen eröffnen. Fasern aus der Moorrevitalisierung, sogenannte Paludisysteme, bieten eine klimafreundliche Alternative zu herkömmlichen Materialien. Algenbasierte Verpackungen gewinnen ebenfalls an Bedeutung und könnten besonders für den norddeutschen Raum interessant werden. Stroh- und Gerstenfasern entwickeln sich zu vielversprechenden Alternativen für Styroporverpackungen, während innovative Mehrwegsysteme neue Wege in der Kreislaufwirtschaft aufzeigen.

Eine besonders zukunftsweisende Entwicklung ist der Einsatz von KI bei der Erstellung von Konformitätserklärungen für die PPWR. Diese Technologie könnte es auch kleineren Unternehmen ohne tiefes Fachwissen ermöglichen, die komplexen gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen und dabei Zeit und Kosten zu sparen.


Unterstützung durch TransformERN

Das Projekt TransformERN versteht sich als wichtige Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis in der Lebensmittelbranche. Mit einem Netzwerk von über 400 Unternehmen und einer gebündelten Branchenerfahrung von mehr als 50 Jahren bietet das Projekt konkrete Hilfestellungen bei der nachhaltigen Transformation. Die kostenfreie 45-minütige Erstberatung ermöglicht es Unternehmen, individuelle Potenziale entlang der Scope eins bis drei zu identifizieren und maßgeschneiderte Handlungsempfehlungen zu erhalten.

Besonders wertvoll ist die Fördermittelberatung in Zusammenarbeit mit Zenit, die Unternehmen gezielt zu passenden Förderprogrammen in NRW führt. Das Projekt organisiert zudem regelmäßig Webinare und Workshops zu aktuellen Themen und unterhält eine WhatsApp-Community, über die Teilnehmer zeitnah über neue Entwicklungen, Fördermöglichkeiten und Veranstaltungen informiert werden. Diese Vernetzung hilft dabei, dass innovative Lösungen schneller den Weg in die Praxis finden.


Fazit

Die Wahl nachhaltiger Verpackungen ist komplex und erfordert eine systematische Herangehensweise. 

Wichtig ist:

  • Klare Prioritäten definieren – Was ist für dein Unternehmen am wichtigsten?
  • Langfristig planen – Transformation dauert Jahre;
  • Experten hinzuziehen – Lass dich professionell beraten;
  • gesetzliche Anforderungen im Blick behalten – PPWR ab 2026 verpflichtend.
     

Die gute Nachricht: Es gibt viele innovative Lösungen und Unterstützungsmöglichkeiten. Der Schlüssel liegt darin, die für das eigene Unternehmen passende Strategie zu entwickeln und konsequent umzusetzen.

 

Für weitere Informationen und individuelle Beratung steht dir das TransformERN-Team gerne zur Verfügung. Kontaktiere uns gerne: constanze@foodhub-nrw.de

© Bild: Canva

Dieser Bericht wurde im Rahmen des Projekts TransformERN erstellt, denn bei TransformERN sind wir überzeugt davon, dass wir alle viel voneinander lernen können – gerade wenn es darum geht, so komplexe Ziele wir Klimaneutralität zu erreichen. Wir von TransformERN freuen uns, dich gemeinsam mit unseren Partnern Ernährung NRW und Food-Processing Initiative auf dem Weg aktiv dabei zu unterstützen. 

TransformERN ist mit Mitteln der Europäischen Union und des Ministeriums für Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen finanziert.

Geschrieben von

Constanze Hepp

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