Enge Margen und Konsumenten, die Neuem erstmal abwartend gegenüber stehen, werden gerne als Gründe angeführt, warum die deutsche Ernährungswirtschaft traditionell konservativer ist als andere Wirtschaftsbereiche. Auch die medienwirksame Schlacht der deutschen Händler um den veganen Burger im Sommer des letzten Jahres täuscht nicht darüber hinweg, dass spannende Produktinnovationen nicht aus Deutschland kommen.
Pünktlich zum Start in 2020 zeichnet eine aktuelle Studie ein düsteres Bild von der Innovationskraft der deutschen Ernährungsindustrie, eine weitere Studie warnt davor, dass der deutsche Mittelstand generell in der Unbedeutung versinkt und Thomas Sattelberger, Ex-Personalvorstand der Telekom, wettert in seiner Keynote bei der Jahresauftaktkonferenz der
Lebensmittelzeitung gegen verstaubte Organisationen, träges Management und fordert mehr Rebellen.
Harte Zahlen, harte Wahrheiten
Die Investitionen in Forschung und Entwicklung lag 2016 bei 0,17 Prozent der Produktionsleistung – deutlich unter dem europäischen Durchschnitt von 0,23 Prozent. Auch der Anteil von Unternehmen mit kontinuierlicher Forschung & Entwicklung ging auf unter 5 Prozent im Jahr 2017 zurück. Entsprechend verwundert es nicht, dass nur 4% der Unternehmen in 2017 eine Produktneuheit präsentiert haben. Zehn Jahre zuvor waren es noch etwa 13 Prozent. Laut den Verfassern der Studie seien die Innovationshürden unter anderem Zugang zu Kapital. Besonders die klein- und mittelständisch geprägten Unternehmen hätten nur sehr begrenzten Spielraum bei Investitionen und Innovationen.
Diese Trägheit jedoch rächt sich, und die Verbraucher bemerken die Unsicherheit der mittelständischen Unternehmen: sie beurteilen die Innovationskraft von KMU in der Studie als gering. Das höchste Innovationspotential wird Start-ups zugesprochen: 49%, gefolgt von internationalen Konzernen (30%). Das Signal ist klar: je länger mittelständische Unternehmen Innovationsprojekte aufschieben, umso schwerer wird es werden, Konsumenten für die Marken des Unternehmens zu begeistern.
Auch hinter den Kulissen, bei der Digitalisierung von Prozessen und der Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen verschläft die deutsche Wirtschaft den Anschluss, so sagt Nadine Kammerlander, Leiterin des Lehrstuhls Familienunternehmen an der
WHU und Mitautorin der Untersuchung gegenüber der
Welt am Sonntag.
Selbst die Einsatzquote von vergleichsweise einfachen IT-Lösungen wie Cloud Computing oder Web Analytics läge demnach nur im einstelligen Prozentbereich. Von Industrie 4.0 Anwendungen, Big Data oder Zukunftstechnologien wie künstlicher Intelligenz ganz zu schweigen.
Die Autoren dieser Studie sehen zwar auch hier Kosten als eine der größten Hürden, aber benennen auch klar fehlendes Spezialwissen und Angst als Gründe, warum der deutsche Mittelstand die Digitalisierung verschläft.
Klare Worte, klare Ansagen
In eine ähnliche Kerbe schlug Thomas Sattelberger, Ex-Personalvorstand der Telekom
in seiner Rede. Für ihn sind ist die
Unternehmenskultur der größte Hemmschuh. Veränderungsdruck würde zwar von Brandreden begleitet, aber den Worten würden keine Taten folgen. Die Schuldigen in seinen Augen sind die Top-Manager mit klassischen Kompetenzen, denen digitales Know-how fehle und die von der Angst vorm Scheitern oder dem Einflußgewinn jüngerer Führungskräfte gelähmt werden. Er warnt: "Erfolg ist die Mutter des Misserfolgs." Stattdessen sei es notwendig, die Transformation aktiv anzustoßen und neue Talente und Andersdenker ins Team zu holen.
Ein Ansatz, Potential zu heben
Unseres Erachtens geht nicht darum, alles Alte auf den Scheiterhaufen zu schmeißen. Im Gegenteil. Der „Phönix aus der Asche“ ist ein Mythos. Vielmehr liegt das Potential doch darin, dass etablierte Unternehmen mit ihren Erfahrungen, ihren Datenschätzen und ihrem Know-how sich zusammentun mit Querdenkern von außerhalb. Wir müssen Prozesse und Netzwerke moderieren, die heterogene Experten zusammenbringen. Denn aus unseren Silos heraus werden wir, die Ernährungswirtschaft in Deutschland, dem Tempo des Wandels und des internationalen Wettbewerbs nicht begegnen können.
Darum brauchen wir Innovationsnetzwerke. Für eine Zusammenarbeit über gelernte Branchengrenzen hinweg, Kooperation in der Horizontalen entlang der Wertschöpfungskette und in der Vertikalen, Branchengrenzen durchbrechend. Wir nennen das kollaborative Innovation.
Und wir brauchen eine neue Art der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Start-ups. Was macht Gründer so spannend? Sie sind oft branchenfremd, sie agieren häufig aus einer Kundenperspektive. Sie haben neue, potentiell disruptive Ideen, weil sie keine „so geht das aber nicht“ Erfahrungen zurückhalten. Was könnten wir nicht für Potential heben, wenn Unternehmen – mit ihren Erfahrungen, ihren Daten, ihren Strukturen – gezielter, geplanter, frühzeitig mit Start-ups zusammenarbeiten würden. Daran glauben wir ganz fest. Daher moderieren wir beim
Foodhub NRW genau diesen Prozess.